Inclusive Leadership in der Praxis: Was für eine Führung brauchen diverse Teams? Wie kann eine Führungskraft einen Rahmen schaffen und halten, in welchem sich diverse Teams voll entfalten können?
Diese Fragen beantwortet TAM Business Trainerin Kerstin Renner, ehemalige Managerin im Finanzbereich von Konzernen und Banken und selbstständige Führungskräftetrainerin, in diesem Gastartikel:
Es ist kein Geheimnis mehr, dass divers aufgestellte Teams kreative und innovative Lösungen ansteuern, die das Unternehmen zukunftsfähiger, resilienter und wirtschaftlich erfolgreicher machen. Unzählige Studien über die bekannten und großen Beratungshäuser liefern dazu Zahlen, Daten und Fakten (so beispielsweise dieser Report von McKinsey aus dem Jahr 2020).
In vielen Unternehmen gibt es deshalb bereits Strategien, die sich mit der Förderung von Diversität, Gleichberechtigung und Einbeziehung beschäftigen. Diese kann man in sogenannten DE&I Strategien zusammenfassen, also der Diversity, Equity und Inclusion.
Auch wenn Unternehmen bereits DE&I Manager:innen berufen, DE&I KPIs tracken oder DE&I in ihren Business-Case aufnehmen – diese Maßnahmen allein machen Diversität, Gleichberechtigung und Inklusion noch lange nicht zum Selbstläufer. Denn DE&I steht nicht nur für Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion, sondern für eine grundsätzliche, dem Menschen zugewandte Haltung:
Und diese Haltung gilt es zum Leben zu erwecken. Denn nur so kann auch im Business-Kontext das Leben von Vielfalt und Gleichberechtigung ermöglicht werden (Anmerkung: das Wort „Inklusion“ ist im Deutschen bereits mit der Einbindung körperlich oder geistig beeinträchtigter Menschen belegt, daher benutze ich hier das noch weiter greifende Wort "Einbeziehung").
Wie erlebst du das Miteinander in deinem Team? Hast du eine einbeziehende, dem Menschen zugewandte Kultur? Schenkt man dir Mitgefühl und lässt dich in deiner ganzen Persönlichkeit glänzen? Feierst du mit deinem Team Unterschiede und fühlt ihr euch verbunden?
Wenn du jetzt nickend vor diesen Sätzen sitzt, dann gratuliere ich dir: Entweder bist du selbst eine tolle Führungskraft oder du hast eine wunderbare Führungskraft, die inklusiv denkt und handelt.
Oder hast du den Kopf geschüttelt? Dann lies jetzt weiter und erfahre, was sichtbare und unsichtbare Diversität ist und wie du den Umgang mit diesen in deinem Team fördern kannst.
Es gibt 2 Arten von Diversität: die demografische und die kognitive Diversität. Es ist sehr wichtig, sich dieser zwei Formen der Diversität bewusst zu sein:
Im DE&I Kontext der Unternehmen gilt es vornehmlich, die demografischen Merkmale - auch 7-Diversity-Kern-Dimensionen genannt - als Barrieren abzubauen. Demnach sollte allen Menschen, unabhängig von sozialer oder ethnischer Herkunft, geschlechtlicher Identität, Alter, sexueller Orientierung, Religion bzw. Weltanschauung und körperlich-geistiger Fähigkeiten der Zugang zur Arbeitswelt ermöglicht werden.
Die demografischen Merkmale sind sichtbar und leichter zu überwinden. Viel schwieriger ist es mit den kognitiven, den unsichtbaren, Merkmalen. Darunter zählen Unterschiede in Denkstilen, Fähigkeiten, Kenntnissen, Überzeugungen und Werten von Teammitgliedern. Als Führungskraft hast du hier die Herausforderung, einen adäquaten Umgang mit diesen Unterschieden zu finden - wie das geht, erfährst du gleich!
Hast du ein demografisch und kognitiv diverses Team zusammengestellt, heißt das allerdings noch lange nicht, dass positive Effekte wie Kreativität, Innovationskraft und Resilienz ganz von allein kommen. Was also brauchen diverse Teams, damit sich ihr Potenzial voll entfalten kann?
Diverse Teams haben mehrere Herausforderungen: Die Zusammenarbeit im Team ist durch ihre Unterschiedlichkeit – demografisch und kognitiv – oftmals erschwert. Und das zeigt sich vor allem in Kommunikations- und Kooperationsschwierigkeiten, die jede:r von uns kennt.
Um diese Unterschiedlichkeit zu managen und ihr Potenzial auszuschöpfen, benötigt es einen einbeziehenden Führungsstil und das Mindset eines sogenannten Inclusive Leaders.
Denn eines ist klar: Die richtige Führung von diversen Teams ist entscheidend für den Gesamterfolg - noch mehr als bei homogenen Teams. Deshalb lohnt es sich für alle, auf die richtige Führungskultur zu achten.
Vieles, was Teams erfolgreich macht, dürfte die schon aus unseren anderen Artikeln bekannt sein. Als moderne, inklusive Führungskraft gibt es dabei einiges zu beachten:
Auch diverse Teams brauchen all das - und noch mehr!
M. J. Wondrak definiert 5 wesentliche Erfolgsfaktoren, mit denen ein Inclusive Leader durch einen einbeziehenden Führungsstil sein Team besonders stärken kann.
Ein Inclusive Leader...
Dafür braucht es Führungskräfte, die diesen Rahmen schaffen und halten können. Welche Voraussetzungen gibt es, damit du also diese 5 Erfolgsfaktoren in dein Führungsverhalten integrieren kannst?
Das ist eine ganz schöne Menge an Kompetenzen und Haltungsfragen, die eine Führungskraft im Sinne des Inclusive Leaderships erfüllen soll.
Im Grunde liegt dahinter eine dem Menschen zugewandte, einbeziehende, ressourcen- und entwicklungsorientierte Haltung. Sich dieser Haltung bewusst zu sein, macht es einer Führungskraft leichter, intuitiv den Rahmen zu setzen und aus der Fülle an Tools die wirksamsten auszuwählen.
Inclusive Leadership fängt also erst einmal bei der Führungskraft selbst an. Mit Selbstkenntnis und Selbstfürsorge. Denn nur wenn sie sich ihrer selbst klar ist, ihre Werte und Stärken kennt, ihre Ressourcen und Stressoren, kann sie ihr eigenes Wohlbefinden verstehen, beeinflussen und persönlich weiterwachsen.
Wissenschaftlich betrachtet: die 5 Säulen sozialen Wohlbefindens:
Die positive Psychologie beschäftigt sich auf wissenschaftlicher Ebene mit diesem Wachstum des persönlichen Wohlbefindens (Flourishing) und den Effekten der wachsenden Selbstwirksamkeit. Und so hat der zeitgenössische Psychologe Corey Keyes den persönlichen, individuellen Ansatz um das Konzept des sozialen Wohlbefindens ergänzt. Darin beschreibt er folgende Bereiche des sozialen Wohlbefindens:
Damit legte er den Weg frei für die These, dass Menschen, die ihr persönliches Wohlbefinden gefunden haben und weiterverfolgen, offener, positiver, zugewandter und verständnisvoller auf ihre Mitmenschen zugehen. Das finde ich persönlich eine wunderbare Haltung für einen Inclusive Leader.
Setzen wir also nun voraus, dass eine einbeziehende Führungskraft bei sich angefangen hat und selbstfürsorglich ist. Sie also bewusst zu ihrem persönlich, individuellen und sozialen Wohlbefinden beiträgt.
Wie kannst du nun die 5 wesentlichen Erfolgsfaktoren umsetzen und dein diverses Team stärken? Und welche Tools & Methoden können dafür behilflich sein?
Okay, ich gebe zu, das ist nichts Neues. Aber es ist so wirkungsvoll, wenn man es richtig anwendet. Und in der Anwendung ist noch viel Luft nach oben. Deshalb hier drei Punkte, die mir besonders wichtig sind:
Damit gibst du deinem Gegenüber das Gefühl, gehört zu werden. Und das schafft Vertrauen und die besagte Sicherheit, die benötigt wird, um auch mal zwischenmenschliche Risiken eingehen zu können.
Wenn du zurückhaltende Teammitglieder hast, kannst du ihnen mit der Think-Pair-Share-Methode eine Stimme geben. So ist gewährleistet, dass alle Ideen auf den Tisch kommen – und nicht nur die lautesten.
Und so geht’s:
Mit dieser Methode gibst du allen Teammitgliedern ein Zeichen, dass sich alle für das Team einsetzen können und sollen!
Neben den Trainings zu den psychologisch unbewussten Denkfehlern unseres Alltags, den sogenannten ‘Unconscious Biases’, die mittlerweile zu den häufigsten Schulungsmaßnahmen im Diversity Kontext gehören, kannst du als Führungskraft selbst unbewusste Vorurteile und kognitive Verzerrungen ansprechen.
In Teammeetings oder Workshops, also immer dann, wenn das Team zusammenkommt, kannst du zeigen, wie man sensibel und wertschätzend vorurteilsbehaftete Verhaltensweisen ansprechen kann. Somit trägst du in deiner Vorbildfunktion dazu bei, einen unbefangeneren Umgang miteinander zu leben.
Um deine Offenheit für unterschiedliche Aufgaben und Herangehensweisen zu vermitteln, kannst du das Reverse Job-Shadowing nutzen - ein Perspektivenwechsel mal anders. Nicht die Neue oder der Youngster gehen bei der Chefin oder dem Abteilungsleiter vorübergehend in die Lehre, sondern andersherum. Stunden- oder tageweise lernen Führungskräfte bei den jüngeren Kolleg:innen, zum Beispiel über den Umgang mit digitalen Anwendungen.
Dieser umgekehrte Schulterblick fördert in diesem Beispiel die generationsübergreifende Zusammenarbeit. Das Modell lässt sich aber natürlich auch für andere Dimensionen übernehmen.
Bevor man gemeinsam einen Stärken-Workshop initiiert, gibt es schon im Alltag die Möglichkeit, die sogenannten Signaturstärken der Teammitglieder zu entdecken - also die Stärken, die charakteristisch für eine Person sind. Damit sind nicht nur geleistete Arbeitsergebnisse gemeint: die Signaturstärken zeigen sich auch im Verhalten, der Mimik und Gestik einer Person.
Also beobachte gut und entdecke, wo du die Energie in strahlenden Augen siehst, einem Lächeln auf den Lippen oder einer natürlichen Tonlage. Also überall dort, wo dir dein Gegenüber authentisch begegnet.
So lernst du, Unterschiede zu zelebrieren und bringst diese Einstellung als Vorbild in dein Team!
Die Kunst ist nun, diesen Blick auf die Stärken zu bewahren und nicht den Fokus auf die Schwächen und Fehler deines Gegenübers zu legen. Das schaffst du, indem du ressourcenfokussiert denkst und handelst.
Was heißt das genau: Du möchtest, dass deine Teammitglieder in ihren Stärken arbeiten können und weiter wachsen. Achte darauf, zu fragen, was sie brauchen, um auf ihre Ressourcen zugreifen zu können. Oder welche Ressourcen du ihnen zur Verfügung stellen kannst. Ressourcen sind zum einen ihre Stärken selbst, aber auch die Beziehungen zu den anderen, das Gefühl von Wertschätzung und ein gutes Wir-Gefühl.
In der schnelllebigen Arbeitswelt wird sich kaum noch Zeit genommen, um echte Verbundenheit mit dem Gegenüber aufzubauen. Meist läuft man gestresst durch die Büroflure, mit dem Blick nach unten – oder sieht sich nur virtuell auf dem Bildschirm – und schaut seinem Gegenüber nicht wirklich in die Augen.
Dabei schaffen echte Blickkontakte – also eine spürbare Weile, in der ich in die Augen meines Gegenübers schaue – sogenannte Mikromomente der Verbundenheit.
Umso öfter du es also schaffst, Blickkontakt herzustellen (natürlich nur, solange es dir und deinem Gegenüber angenehm ist), desto mehr steigt das Gefühl von Verbundenheit.
Wer sich ein spannendes Experiment anschauen möchte, was ein noch längerer Blickkontakt alles auslösen kann, empfehle ich das Berlin Eye Contact Experiment!
Wenn du dich fragst, warum dieser eine Konflikt oder die Blockade im Team entstanden sind, dann stecken dahinter sehr oft Wertekonflikte. Denn Werte sind unser innerer Kompass. Nach ihnen richten wir uns aus, meist unbewusst, aber dafür sehr deutlich.
Dabei hilft es, in einem diversen Team einen Wertekodex - also eine Zusammenfassung der gemeinsamen Wertevorstellungen - zu erstellen. Dabei können Fragen helfen wie: Welche Werte sind uns wichtig? Worauf kann jede:r vertrauen? Wie gehen wir miteinander um?
Damit schaffst du es, trotz unterschiedlicher persönlicher Werte der Teammitglieder das Verbundenheits- und Identitätsgefühl zu stärken.
Eigentlich naheliegend, aber dann doch irgendwie zu einfach? Im Gegenteil. Wenn du regelmäßig das Thema Diversität als Tagesordnungspunkt auf der Agenda deiner Teamsitzungen hast, wird deren Relevanz bewusst. Und gleichzeitig verliert das Thema seine Sonderstellung und wird zu einem Standard.
Du kannst in den Teammeetings über die übergeordnete Diversitätsstrategie informieren oder darüber (gemeinsam) reflektieren, mit folgenden Fragen: Was würde passieren, wenn wir als Organisation nicht diverser werden? Welche Vorteile bringt uns Diversity, als Organisation, als Team und jeder einzelnen Person?
Das Konzept des Reverse Mentoring ist eine Umkehrung des klassischen Mentorings. In diesem Beispiel geht es allerdings nicht um die Umkehrung von Junior zu Senior, sondern Vertreter einer unterrepräsentierten Gruppe sind Mentor:innen für die Manager:innen & Führungskräfte.
Zum einen bekommt die unterrepräsentierte Gruppe somit mehr Sichtbarkeit für ihre Belange und kann auf Augenhöhe Rat geben. Zum anderen sensibilisiert es das Management für mögliche Stereotypisierungen und unsichtbare Barrieren für diese Gruppe, ohne dabei gleich die Lösung parat haben zu müssen. Die Lösung entsteht gemeinsam.
Diverse Führung ist mindestens so komplex wie Diversität selbst. Die richtige DE&I-Strategie, auch in der Führung, aufzubauen und umzusetzen ist aber einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren in der heutigen Arbeitswelt.
Als Inclusive Leader bist du dafür verantwortlich, dein Team und die dahinterstehenden Individuen mit ihren jeweiligen Stärken und Fähigkeiten zu fördern. Im gleichen Maße bist du auch verantwortlich für dich.
Denn Diversity fängt bei dir an!
Wir freuen uns, dir mehr über unsere Trainings erzählen zu können.
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